2008/09/13

Es war einmal

eine schöne Prinzessin. Die lebte in einem riesigen Hofstaat. Überall waren Diener, die ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen konnten. Und noch bevor sie den Wunsch wirklich dachte, wurde er erfüllt. Sie lebte glücklich und zufrieden in ihrem Schlaraffenland. Sobald sie etwas bedurfte, wurde es ihr gegeben und wenn sie doch einmal einen Wunsch aussprechen musste, so geriet der ganze Hofstaat in Unordnung, denn alles setzte sich in Bewegung um diesen Wunsch sofort zu erfüllen: für eine Prinzessin gehörte es sich nicht, Wünsche auszusprechen!

Als sich die Geburt der Prinzessin wieder einmal jährte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als das Wesen der Pferde zu ergründen. Dieser Wunsch war so anders, als alles was sie bisher verlangte, dass die Aufregung diesmal besonders groß war und der seelige Vater gab sofort in Auftrag, dass neue Stallungen errichtet werden sollten. Es dauerte nur wenige Wochen, viele Handwerker versammelten sich sofort freiwillig der Prinzessin zu Diensten zu sein, bis mehrere Gebäude, ansehnliche Ställe, ein Reitplatz, ein Raum für die Fohlen und sogar eine Rennbahn gebaut waren. Schon sechs Wochen nach dem Geburtstag konnte der König seine Tochter durch die neu erbauten Hallen führen, ihr die stattlichen Tiere zeigen, die er eigens erworben hatte, und ihr mehrere Reitlehrer bekannt machen, die sich ohne Zögern ihrem Dienst beim König verschrieben hatten. Die Prinzessin schritt durch die Gebäude, äußerte ihr wohlgefallen und nur selten Kritik und nahm dankbar das Geschenk an, welches nicht nur vom Vater, sondern durch die viele Arbeit vor allem von den Bewohnern des Königreiches hergegeben ward.

Unter der Führung der Reitlehrer lernte sie alsbald zu verstehen, welche Bedürfnisse die Pferde haben und ohne Zögern übernahm sie Aufgaben wie das Reinigen der Ställe, die einer Königin zwar nicht würdig, für die Tiere aber unabdingbar waren. Nach kurzer Zeit kümmerte sie sich selbst um den Einkauf von Stroh und Weizen und erwarb einige Fähigkeiten, gute von schlechter Ware zu trennen und angemessene Preise zu zahlen. All dies erfüllte den Vater mit Stolz, obwohl er es lieber gesehen hätte, die Prinzessin hätte sich nicht mit so niederen Arbeiten wie dem Mistschaufeln beschäftigt. Aber da sie nun einmal seine einzige Tochter war, ließ er es zu und überwand seine Widerstände, war es doch um der Wünsche seiner Tochter willens notwendig.

Tatsächlich entwickelte die Prinzessin innerhalb kürzester Zeit ein Gespür für die verschiedenen Charaktere der Tiere. Je nach Stimmung wählte sie ein Pferd, mit dem sie neues Gelände erkundete oder eines, mit dem sie wie im Flug durch die Landschaft gallopieren konnte, um das Gefühl der Freiheit mit dem Gefühl der Verbundenheit zum Tier zu kombinieren. Bald schon konnten ihr die Lehrer nichts mehr beibringen, stattdessen begannen sie, von ihr zu lernen.

Die Prinzessin konnte Pferde nun so gut zu verstehen, dass sie ein neues Tier, das ihr zum nächsten Geburtstag geschenkt wurde nur kurz zu mustern brauchte, um zu wissen, dass dieses Tier nicht willens war, sich von ihr beherrschen zu lassen. Das ärgerte die Prinzessin maßlos. Ihrer Wut wurde aller möglicher Ausdruck verliehen: die Reitlehrer wurden davon gejagt, der treue Kammerdiener der sie von Klein auf kannte ertrug eine Sterilisation, Köche wurden ausgetauscht weil sie keinerlei schmackhafte Speisen mehr zubereiten konnten; kurz: die Prinzessin wütete und selbst der Vater, der stets seine Tochter in den Himmel gehoben hatte konnte nicht umhin, ihr Verhalten zu mißbilligen. - Freilich tat er das nicht öffentlich, alle Schmach ertrug er wortlos, konnte sich aber auch nicht finden, seiner Tochter zu begegnen um ihr die Stirn zu zeigen, zu sehr war er ihrer Liebe hörig.

Die Prinzessin, die ihren Tagesablauf immer mehr um die Pferde und deren Bedürfnisse strukturiert hatte, konnte es nicht lassen, die Ställe zu besuchen. Immer wenn sie am Gatter des geschenkten Pferdes vorbei kam, konnte sie nur mit Hass auf das Tier blicken und während sie das Pferd immer abgestossener und angewiederter ansah, schien es immer stattlicher, immer stolzer und immer schöner zu werden. Und in gleichem Maße, in dem das Pferd an Wert gewann stieg der Prinzessin die Ablehnung des Tieres. Bald schon wünschte sie, das Wesen tot zu sehen, noch mehr aber wünschte sie, das Tier besiegt zu wissen.

Vor ihrem Zimmer wusste die Prinzessin des abends immer zwei Diener und kannte daher nur begrenzte Möglichkeiten, sich der Kontrolle anderer zu entziehen. Deshalb lud sie eines Abends beide Diener mit einer Aufgabe in ihre Räume, um sie zu beschäftigen. Als die Diener die ihnen zugewiesene Arbeit erledigt hatten, verlangte die Prinzessin ihr beim Trunk des Weines zu Gast zu sein; Gesellschaft hätte sie nötig. Dabei war sie so vollkommen in ihrer Art, dass beide bereitwillig ein Glas zum Munde führten, während sie sebst ihre Kehle mit harmlosem Wasser benetzte. Die Eunuchen waren es nicht gewohnt Wein zu sich zu nehmen und schon bald lehnten sie sich bettschwer zurück, während die Prinzessin noch immer wachen Gemütes war. Sobald sie die beiden eingeschlafen wusste brach sie auf zum Stall.

Als sie das Gatter des geliebt-gehassten Pferdes betrat, stand dieses auf und präsentierte sich in seiner gesamten Größe. Die dunkle Mähne des Pferdes vor einem Braun, das vor leben nur so funkelte weckte eine Phantasie in der Prinzessin, die sie sich nur schwer eingestehen konnte: Wie sie - in den Sonnenuntergang hinein - auf diesem Pferd davon ritt - und nie wieder gesehen ward. Aber noch stand dieses Pferd neben ihr, überragte sie und war nicht bezwungen. Die alte Wut der Prinzessin war noch lebendig und sie trat vor die Augen des Pferdes und sagte zu ihm: „Ich werde dich ausreiten und du wirst mir gehorchen!“ und ohne es zu merken hatte sie ihren Zeigefinger erhoben und wie ein alter, besserwißriger Hochschullehrer damit vor der Nase des Tieres herumgewedelt. Alsdann schnappte sie sich ein Zaumzeug und legte es dem Tier an, was dieses bereitwillig ertrug.

Die Prinzessin führte das Pferd - ein wenig stolz - doch immer noch auch mit Haß erfüllt aus dem Stall heraus. Aber sie wußte sich sicher, das Pferd gezäumt zu haben und deshalb drehte sie ihm auch den Rücken zu. Als sie über die Weide blickte, die sich vor dem Stall auftat, bekam sie Lust, mit dem Pferd zusammen dort zu grasen und sie ging auf die Weide zu. Sie öffnete den Zaun und führte das Pferd auf das Grün, ohne es loszulassen oder den Zaun zu schließen. Sie erlaubte dem Pferd zu Grasen. Unterdessen durfte es jedoch nur wenige Büschel aus dem fruchtbaren Boden reißen bevor die Prinzessin den Wink zum Aufbruch gab und das Tier aus der Weide herausführte. Sie führte es einen Feldweg hinunter von dem sie wusste, dass alle Pferde dort entlang geführt wurden und dass dieser Pfad dem Pferd vertraut sein musste. Längst hatte sie begonnen, weil sie so stolz voran schritt, das Gefühl für das Pferd zu verlieren; aber auch zu sich selbst wusste sie nicht mehr, wer sie war. War sie soeben noch so stolz gewesen, das Tier zu dominieren, glaubte sie sich jetzt in solcher Sicherheit, dass es sie verlangte, dieser Situation überdrüssig zu werden.

(Deshalb, und aus keinem anderen Grund, deshalb, begann sie Vernachlässigung zu üben. Und wenn man der Geschichte einen traurigen Ausgang widmen will, so sollte man es jetzt tun!) (Aber ein trauriger Ausgang ist etwas leichtes! Der gehört nicht an diese Stelle! Viel besser wäre ein fröhlicher Ausgang. Aber will ich mir die ganze Story ruinieren, indem ich an einer solch dramatischen Stelle ein Happy End erzeuge?)

Schon hatte sich der Haß zum Tier bereitwillig in Liebe gewandelt. Ja, was sie bislang an diesem Tier abstossend, arrogant, sogar als verabscheuenswürdig befunden hatte, war plötzlich das, worauf sie nicht eine Minute länger verzichten konnte: die Bindung zu diesem Tier war unverkennbar! Und wenn sie nicht schon immer eine Einheit gebildet hätten, dann nur deshalb, weil das Schicksal sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt warten lassen! Und so ging die Prinzessin einige Schritte in die Heide. Sie führte den geliebten Gaul in ein Feuchtgebiet, in dem sie selbst wenige Zentimeter, das viel schwerere Tier aber schon um einige Zentimeter tief im Boden versank. Eine Weile lief sie den Rand des Feuchtgebietes entlang, wohl darauf achten, dass sie es nicht verließ. Sodann änderte sie allmählich die Richtung und lief immer tiefer in die Feuchte hinein, führte das Tier an kurzem Zügel und zwang es dazu, immer größere Kraftanstrengung auf sich zu nehmen, wobei die Prinzessin sich selbst nicht schonte. Als das Pferd bei jedem Schritt weit über die Knöchel im Boden versank, hielt die Prinzessin ein, schwang sich auf den Rücken des Tieres und setzte es langsam in Bewegung. Das Pferd folgte streng den Befehlen seiner Herrin und plötzlich funktionierten beide als Einheit. Allein ein kleiner Rest von Wut bestimmte die Prinzessin noch immer und nachdem die Reiterin das Pferd drei Meilen in eben diesem Feuchtgebiet geritten hatte und sich beim Tier noch keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigten, begann sie das Tier noch tiefer in das Nass hineinzuführen, dorthin, wo der Wasserstand immer höher wurde. Und als auch diese Aufgabe vom Tier mit Bravour bestanden worden war ward die Prinzessin leichtsinnig, übermütig und sogar etwas unzufrieden und lies das Pferd schneller laufen. Und als es schneller lief und schneller lief und nicht langsamer wurde musste es noch tiefer in das Wasser hinein. Und als es tiefer und tiefer wurde, dort, wo schon die ersten Seerosen blühten und das Pferd mit unbegrenztem Eifer dahin lief, kam es unvermittelt zum Sturz. Der rechte Vorderlauf des Tieres knickte um und aus zügigem Lauf fiel es vornüber. Das Pferd klemmte der Prinzessin das rechte Bein ein und ihr Oberkörper schlug hart gegen den aufgeweichten Boden. Nur einen Augenblick später rollte das Pferd über die Prinzessin und begrub ihren Kopf unter Wasser. Die Panik, die sie verspürte, konnte nicht aus ihr heraus, denn so sehr sie sich auch mühte: sie konnte nie wieder einen Finger bewegen.

1 Kommentar:

muxmax hat gesagt…

danke dir maddin für das nette denkblasenbild...

geil!

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